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Das deutsche Mindestlohngesetz auf dem europäischen Prüfstand

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RAin Kira Falter und RA/FAArbR Dr. Alexander Bissels, beide CMS Hasche Sigle, Köln

RAin Kira Falter und RA/FAArbR Dr. Alexander Bissels, beide CMS Hasche Sigle, Köln

In Zusammenhang mit der Einführung des Mindestlohngesetzes (MiLoG) ist die Anwendung des gesetzlichen Mindestlohnes auf den europäischen Transportverkehr einer der größten Streitpunkte. So hat Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles bereits Ende Januar 2015 – und damit bereits im ersten Monat nach Einführung des neuen Gesetzes – die Anwendung des MiLoG auf reine Transitfahrten ausländischer Unternehmen durch Deutschland ausgesetzt, nachdem die Nachbarländer hiergegen „auf die Barrikaden” gegangen waren.

Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet

Nun hat die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet, indem sie geltend macht, dass durch die Anwendung des deutschen MiLoG auf ausländische Transportleistungen, die in Deutschland erbracht werden, „eine unverhältnismäßige Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit und des freien Warenverkehrs” bewirkt werde. Dadurch würden für den Transitverkehr und bestimmte grenzüberschreitende Beförderungsleistungen „unangemessene Verwaltungshürden” geschaffen. Ferner sieht die EU-Kommission die Integrität und den reibungslosen Ablauf des EU-Binnenmarktes gefährdet. (siehe PM der EU-Kommission vom 19.05.2015)

Hintergrund

Bereits seit der Einführung des MiLoG war die Anwendung des Gesetzes auf Arbeitnehmer ausländischer Logistikunternehmen, die Deutschland durchqueren oder hierzulande etwas liefern bzw. abholen, umstritten. Die Autoren vertraten schon zu einem früheren Zeitpunkt die Ansicht, dass das MiLoG hier nicht zur Anwendung kommen dürfte; jedoch bis zu einer Klärung durch die Gerichte (oder eben durch das nun eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren) auch ausländische Unternehmen sich an die Vorschriften halten sollten (vgl. Blogbeitrag vom 26.01.2015). Für den reinen Transit hat dies auch die Bundesregierung zeitnah erkannt und die Anwendung des MiLoG vorrübergehend ausgesetzt. Derzeit findet das MiLoG jedoch weiterhin bei sog. Kabotagefahrten (d.h. bei Transportdienstleistungen im Inland durch ein ausländisches Verkehrsunternehmen) Anwendung. Gleiches gilt, wenn eine Be- oder Entladung in Deutschland erfolgt.

Anwendung des MiLoG bei ausländischen Arbeitnehmern?

Dabei sprechen die überzeugenderen Argumente dafür, dass der gesetzliche Mindestlohn für die Fahrer, die bei einem ausländischen Unternehmen angestellt sind und nur temporär im Inland tätig sind bzw. Deutschland nur durchfahren, nicht einschlägig ist. So fordert § 20 MiLoG als grundlegende Voraussetzung für die Zahlung des Mindestlohns eine „Beschäftigung im Inland”. Hierbei wird man sich – mangels Definition oder Konkretisierung durch das MiLoG – an den sozialversicherungsrechtlichen Kriterien (§ 7 Abs. 1 SGB IV) orientieren müssen. Danach ist von einer „Beschäftigung” auszugehen, wenn eine Tätigkeit nach Weisungen erfolgt und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers vorliegt. Übertragen auf Transitfahrten bedeutet dies, dass nach den Maßstäben des deutschen Sozialversicherungsrechts ein Beschäftigungsverhältnis zwischen dem ausländischen Arbeitgeber und dem von diesem eingesetzten Arbeitnehmer im Inland bestehen muss. Dieser ist zwar weisungsabhängig in die betrieblichen Strukturen eingebunden und fährt auf Geheiß seines ausländischen Arbeitgebers die ihm übertragene Route. Jedoch wird das Beschäftigungsverhältnis im Ausland begründet und knüpft an eine dort gebildete Betriebsorganisation (Fuhrpark, Verwaltung, Betriebsgelände etc.) sowie ein vom Arbeitgeber bereits im Ausland ausgeübtes Weisungsrecht an. Vor diesem Hintergrund wird der betreffende Arbeitnehmer im Ausland – und eben nicht im Inland – „beschäftigt“.

Der Anwendung des MiLoG auf den Transitverkehr steht zudem der Sinn und Zweck des MiLoG entgegen. Denn nach dem Gesetzesentwurf soll dieses „Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor unangemessen niedrigen Löhnen” schützen, da „in Deutschland (…) die Beschäftigung zu niedrigen Löhnen in den vergangenen Jahren zugenommen” hat. Ferner sollen die Kosten der Grundversicherung gesenkt sowie Einnahmeausfälle in der Sozialversicherung abfangen und negative Auswirkungen auf die Alterssicherung schlecht verdienender Arbeitnehmer abgemildert werden. Keins dieser Ziele verfängt, wenn der Mindestlohn an im Transitverkehr tätige ausländische Arbeitnehmer durch deren ausländische Arbeitgeber gezahlt wird. Hierbei muss sich insbesondere vor Augen geführt werden, dass ein in Deutschland ansässiges Transportunternehmen, dessen Mitarbeiter Waren durch ein anderes EU-Land transportieren – jedenfalls nach dem deutschen MiLoG – nicht zur Zahlung von 8,50 € pro Stunde für die im Ausland erbrachten Tätigkeiten verpflichtet ist. Eine Wettbewerbsverzerrung ist vor diesem Hintergrund jedenfalls nicht ausgeschlossen.

EU-Kommission sieht unverhältnismäßigen Eingriff in Dienstleistungsfreiheit und freien Warenverkehr

Dass auch ein Blick durch die „europarechtliche Brille” zu keiner anderen Bewertung führt, hat jetzt die EU-Kommission deutlich gemacht. Das an die deutsche Bundesregierung verfasste Schreiben ist der erste Schritt zur Einleitung des sog. Vertragsverletzungsverfahrens. Zwar unterstützt die Kommission die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland. In der Anwendung des MiLoG auf alle Verkehrsleistungen, die das deutsche Staatsgebiet – im wahrsten Sinne des Wortes – „berühren”, sieht diese jedoch eine unverhältnismäßige Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit und des freien Warenverkehrs.

Weitere Dokumentationspflichten

Neben der Verpflichtung zur Zahlung des Mindestlohns in Höhe von 8,50 € je Zeitstunde treffen ausländische Unternehmen, die in einer der in § 2a Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz genannten Branchen (worunter u.a. die auch Logistikbranche fällt) tätig sind und deren Arbeitnehmer in Deutschland tätig werden, umfangreiche Dokumentationspflichten. Nach § 16 MiLoG sind sie verpflichtet, vor Beginn jeder Werk- oder Dienstleistung (ergo: jedem Tätigwerden) ihrer Arbeitnehmer in Deutschland eine in deutscher Sprache verfasste schriftliche Anmeldung bei der zuständigen Zollverwaltung in Deutschland vorzulegen. Diese muss u.a. den Namen des eingesetzten Mitarbeiters, den Beginn, die voraussichtlich Dauer sowie den Ort der Beschäftigung enthalten. Ein spontaner Einsatz eines Arbeitnehmers aufgrund eines kurzfristigen Auftrags, dessen Auslieferung in Deutschland stattfindet oder für den der Fahrer Deutschland auch nur durchqueren muss, verbietet sich daher grundsätzlich. Ob sich das „Aufforderungsschreiben” der EU-Kommission auch gegen diese Pflichten wendet, geht aus der bislang vorliegenden Pressemitteilung nicht eindeutig hervor. In dieser heißt es jedoch, dass die Anwendung des MiLoG auf grenzüberschreitende Beförderungsleistungen „unverhältnismäßige Verwaltungshürden” geschaffen werden. Hierin könnte – neben der monetären Verpflichtung zur Zahlung des Mindestlohns – auch eine Kritik an den durch das MiLoG implementierten Verwaltungsvorschriften stecken.

Wie geht es weiter?

Nunmehr hat die Bundesrepublik Deutschland zwei Monate Zeit, um sich zu erklären und auf die Argumente der Kommission zu reagieren. Im Anschluss daran wird Brüssel das weitere Vorgehen evaluieren und ggf. eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof gegen Deutschland einreichen. Es bleibt zunächst abzuwarten, wie die Bundesregierung auf den „Rüffel” der Kommission reagieren wird.


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